Eine Oral History des deutschen Rap.
Dieses Buch ist ein Geschenk. Also ich habe es zu meinem letzten Geburtstag geschenkt bekommen.
Nur damit wir uns richtig verstehen.
Es hat ein bisschen gedauert, bis es in meinen Händen geblieben und mich Seite für Seite in seinen Bann gezogen hat.
Meine Liebe zur Hip-Hop-Kultur und zur Rap-Musik ist nie ganz erloschen, doch das Feuer war viele Jahre nur noch eine kleine Flamme, die ab und zu flackerte.
Wenn ich am Bahnhof zum Beispiel etwas Zeit hatte und mich in den nächsten „Bookstore“ begab, habe ich häufig die Juice – Das Hip-Hop Magazin durchgeblättert und so den Kontakt ein bisschen gepflegt.
Irgendwie ist es wie mit einer guten alten Freundschaft.
Die Wege trennen sich, man verliert sich aus den Augen, hält aber lose den Kontakt.
Und wenn man sich über den Weg läuft, ist es eine gute Zeit.
„Könnt ihr uns hören?“ ist für mich wie ein Klassentreffen mit vielen alten Freunden.
Das Gespräch beginnt, viele Geschichten von früher werden ausgepackt und so werden Brücken von damals bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt geschlagen.
Das Buch ist auch wie ein Gespräch aufgebaut.
„Eine Oral History des deutschen Rap“ – den Untertitel habe ich erst beim Lesen wirklich verstanden. Denn die beiden Autoren Jan Wehnund Davide Bortotsind viel mehr Herausgeber des Buches als selbst die Schriftsteller.
Über 100 Rapper*innen, Journalist*innen, Musiker*innen und Aktivist*innen kommen zu Wort und es findet ein Gespräch statt. Aus den unterschiedlichen Dekaden des deutschen Rap kommen die entsprechenden Protagonisten zu Wort und erzählen ihre Geschichten.
Dadurch ist die ganze Sprache sehr direkt und die jeweiligen Perspektiven können zumeist gut nachempfunden werden.
Ich selbst bin um die Jahrtausendwende mit Rap in Kontakt gekommen und habe mich dann relativ schnell in die Hip-Hop-Kultur verliebt. Mit Graffiti habe ich es versucht, mit DJing und rappen.
Beim Graffiti hat mir die Geduld und vermutlich auch das Talent gefehlt.
Als DJ ging es mir vor allem um die Musik und weniger um die technischen Fertigkeiten.
Beim Rappen bin ich lange geblieben, ich habe einige Songs auf der Festplatte und ich schreibe auch weiterhin an neuen. Die Hip-Hop-Kultur hat mich viele Jahre geprägt und durch meine Jugend getragen. Die Musik war dabei mein erster Zugang. Irgendwie hatte das etwas Rebellisches, etwas Frisches, ich konnte mich damit identifizieren und wollte mehr und mehr darüber wissen.
Was ich entdeckte war vor allem ein Lebensgefühl.
Dabei ging es darum sich nicht unterkriegen zu lassen, möglichst kreativ und eigenständig zu sein, sich zu respektieren, ganz egal woher jemand kommt und zusammen zu kommen, zu feiern und die Hip-Hop-Kultur zu zelebrieren. Ich bin eingetaucht und habe alle Informationen, die ich bekommen konnte aufgesogen und war von da an viele Jahre Teil dieser Kultur.
Bis ich nach der Schule und einem Freiwilligendienst auf Reisen war und im Anschluss nicht mehr all zu viel damit anfangen konnte.
Und jetzt kommt dieses Buch zu mir und ich bin wirklich geflashed.
Ich sauge alles auf und bin wieder voll im Geschehen.
Das Buch kann ich kaum aus den Händen legen und die 463 Seiten sind schnell gelesen.
Normalerweise mag ich keine dicken Bücher, aber hier bin ich froh über jede Seite.
Die Flamme wird genährt und die Liebe zur Hip-Hop-Kultur ist wieder greifbar.
Ich merke, wie stark die Verbundenheit immer noch ist.
Dabei gibt es natürlich auch einige Bereiche, die mich gar nicht ansprechen und Tendenzen, von denen ich mich klar distanziere (Homophobie, Frauenfeindlichkeit, Verherrlichung von Drogen und Gewalt u.a.). Die Hip-Hop-Kultur ist ein großer Teil meiner Geschichte und hat mich stark beeinflusst. Ich könnte wahnsinnig viel aus dieser Zeit erzählen und dabei auch auf das Buch eingehen. Mich hat es auf jeden Fall wieder in Kontakt zu diesem Teil von meiner Geschichte gebracht und das ist ein großes Geschenk.
Das Buch ist mit sehr viel Liebe gemacht, gut durchdacht und bietet eine spannende Chronologie von den Anfängen der Hip-Hop-Kultur in Deutschland (1983) bis in die heutige Zeit.
Für Fans ein absolute Empfehlung. Aber auch für alle, die das Phänomen „Hip-Hop“ interessiert und sich fragen, wie es dazu kommt, dass Rap-Musik als Sound der heutigen Zeit nicht mehr wegzudenken ist.